Rassismus auf Reisen: Erkennen & vermeiden
Was liebst du so am Reisen? Vielleicht, in eine andere Welt einzutauchen und fremde Kulturen kennenzulernen? Daran ist erstmal nichts verkehrt, denn beim (nachhaltigen) Reisen treffen immer Personen unterschiedlicher Kulturen aufeinander und man erlebt und sieht Dinge, die man zu Hause nicht erleben und sehen würde. Gleichzeitig müssen wir alle aufpassen, dass wir dabei nicht ungewollt in implizite Rassismen verfallen. Wie genau Alltagsrassismus auf Reisen auftauchen kann, was das mit strukturellem Rassismus zu tun hat und in welchen Situationen Reisende besonders sensibel unterwegs sein sollten, darüber möchten wir hier zusammen mit Martina von der Black Travel Alliance reflektieren.
Betty
„Was Reisen für mich so besonders macht? Nicht nur die schönen Orte dieser Welt, sondern vor allem die Menschen, die dort leben und die spannendsten & bewegendsten Geschichten auf Lager haben."
Betty, FairAway Redaktion
Struktureller Rassismus: Was ist das?
Bestimmt hast du in der letzten Zeit den Ausdruck „Struktureller Rassismus“ sehr oft gehört: Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA und im Zuge der verstärkten Präsenz der Black Lives Matter Bewegung wurde viel darüber diskutiert, inwiefern Rassismus in den offiziell bestehenden Strukturen des täglichen Lebens verankert ist. Dabei steht eines außer Frage: Eine durch offizielle Strukturen legitimierte jahrelange Unterdrückung und Ausbeutung aufgrund von Hautfarbe ist Fakt und es gibt sie in unterschiedlichsten Ausprägungen: Zum Beispiel, indem People of Color (PoC) keine Wohnung bekommen oder an der Grenze überdurchschnittlich oft durchsucht werden.
Rassismus und seine Alltags-Gesichter
Auch im Alltag haben sich Rassismen bei vielen Menschen, die in diesem System leben, gefestigt. Oft vielleicht ganz unbewusst und ungewollt, nicht böse gemeint, aber dennoch präsent: Zum Beispiel durch Fragen wie „Und wo kommst du WIRKLICH her?“. Der erste Schritt ist das Bewusstsein dafür, dass das Problem existiert – im System, im Alltag und auch auf Reisen, auch wenn es vielleicht nicht direkt vor deiner Nase passiert. Oder vielleicht doch: Was glaubst du, wie sich PoC fühlen, die im Urlaub „ins Grüne“ fahren wollen – z. B. an einen See in Brandenburg – und der Weg dorthin mit Afd-Plakaten gepflastert ist? Die, dort angekommen, angestarrt werden – egal ob freundlich, interessiert oder auch hasserfüllt? Und die im Hinterkopf noch die letzte Schlagzeile zu einem fremdenfeindlichen Angriff eine Stadt weiter haben? Wie lässt sich dieses Gefühl mit Urlaub und Erholung verbinden? Was für viele Idylle ist und als solche nicht hinterfragt wird, hat für andere Menschen den bitteren Beigeschmack von Gefahr.
Rassismus als Reisender
Es gibt grob gesagt zwei Arten von Reisenden: Die, die sich zwei Wochen im All-inclusive-Hotel verschanzen und wenig bis gar nicht an der Kultur des Reiselandes teilhaben. Und die, die vor Ort Begegnungen suchen, die Kultur kennenlernen und in das Lebensgefühl eintauchen wollen. Letztere Reisende sind – natürlich gibt es auch Ausnahmen – in der Regel weltoffen, interessiert und respektvoll unterwegs. Aber auch sie sind nicht davor gefeit, sich ihrer eigenen Privilegien nicht bewusst sind, anderen Menschen Zuschreibungen machen und sich mit fehlendem Respekt anderen Kulturen annähern. Hand aufs Herz – hast du vielleicht schon mal diese Situationen erlebt oder dich selber dabei erwischt?
- Locals und Kinder werden ohne Erlaubnis fotografiert
- Kulturelle Gepflogenheiten werden ignoriert, zum Beispiel indem Touristen ihre Schultern in buddhistischen Tempeln nicht bedecken
- Es werden Zuschreibungen gemacht wie „arm, aber glücklich“ und „Die Anderen“ beurteilt: „Obwohl sie so wenig haben, ist da so viel Lebensfreude!“
- Authentische Erlebnisse werden gewünscht, aber gleichzeitig europäische Standards vorgezogen , sodass lokale Anbieter das Nachsehen haben
- Die Andersartigkeit wird betont und daraus Rückschlüsse gezogen, z. B.: Schwarze Haut steht für karibische Rhythmen und Exotik („Die Kubaner haben den Rhythmus aber auch einfach im Blut“)
Dazu kommt oft eine Romantisierung des Tourismus: Da wird Armut gerne als traditionelles ländliches Leben dargestellt und es wird sich uralter, teilweise Rückständigkeit suggerierender Bilder aus der Kolonialzeit bedient – zum Beispiel „der stolze Massai“. Und die meisten Touristen möchten nicht, dass ihre Entspannung am Traumstrand an der Costa del Sol durch die Realität der ankommenden Geflüchteten gestört wird (bei denen die „beispiellose Gastfreundschaft“ in den Reiseländern oft auch ihre Grenzen hat, schließlich bringen sie kein Geld ins Land wie die Touristen). Als Reisender dürfen wir nie aus den Augen verlieren, dass wir uns zwar den Kulturen öffnen wollen, aber es vor allem im globalen Süden ein Machtgefälle gibt und die Reisen auf die Bedürfnisse der westlichen Gesellschaft abgestimmt sind.
Reisen & Rassismus: Realitätscheck
Du siehst schon: Rassismus auf Reisen ist ein riesengroßes, sensibles, vielschichtiges Thema. Auch wir haben viel darüber nachgedacht und diskutiert – leben wir als Reiseunternehmen eigentlich genug Diversity? Wo sind auf Stockfotos, die wir für Artikel verwenden, eigentlich die reisenden POC? Und wieso fragen wir, die wir uns als absolut antirassistisch bezeichnen würden, uns das erst wirklich, während wir für diesen Artikel recherchieren? Der Realitätscheck ist manchmal bitter, aber dringend nötig. Um das Bewusstsein für die verschiedenen Probleme zu stärken, tiefer ins Thema reinzugehen und unser eigenen Verhalten zu reflektieren, haben wir mit Martina von der Black Travel Alliance gesprochen.
Martina traf ihren Mann im Flugzeug (Love is in the air….) und die gemeinsame Leidenschaft fürs Reisen hat sie sofort verbunden. Zusammen haben Sie den Blog That Couple Who Travels ins Leben gerufen, um über ihre gemeinsame Leidenschaft zu berichten. Nach dem schrecklichen Tod von George Floyd initiierten die beiden zusammen mit anderen Reisebloggern die Black Travel Alliance – ein globaler Zusammenschluss von PoC, die dafür eintreten, dass die Reiseindustrie, deren Konferenz und die Außendarstellung diverser wird. Wir haben mit Martina über die Initiative gesprochen und selbst dabei einiges gelernt!
Martina, du hast dich mit anderen Bloggern zusammengeschlossen, um die Black Travel Alliance zu gründen. An wen richtet sich die Initiative und was wollt ihr erreichen?
Nach dem Beginn der Pandemie hatten meine Blogger-Kolleg*innen und ich regelmäßige Online-Meetings. Nach dem furchtbaren Tod von George Floyd mussten und wollten wir etwas bewegen. Wir sahen, dass viele Unternehmen, auch Reiseveranstalter, als Symbol ein schwarzes Bild gepostet haben, den Blackout Tuesday. Das ist eine nettes Symbol, jedoch spiegelt sich dies nicht in den jeweiligen Handlungen wider. Wie viele Schwarze Menschen arbeiten wirklich in einem Unternehmen, in Führungspositionen? Wie viele Schwarze Menschen sind auf Konferenzen als Speaker anwesend, sind in Marketingkampagnen sichtbar, als Vlogger oder Fotograf*innen angestellt? Mit der Black Travel Alliance hinterfragen wir diese messbaren Indikatoren und möchten dazu beitragen, das Schwarze Personen stärker repräsentiert werden. Unsere erste Kampagne „Pull up for Travel” sammelt genau diese Daten von Unternehmen, um den Status Quo zu erfassen. Langfristig möchten wir die Repräsentation von Schwarzen Menschen in der Reiseindustrie steigern.
Ok, viele Unternehmen möchten diverser werden – welche Tipps hast du, damit sie dies auch umsetzen können?
Mein erster Tipp an Unternehmen ist, dass sie unterschiedliche Menschen einstellen. Je verschiedener die Menschen sind, desto diverser wird auch das Unternehmen, die Produkte, die Marketingkampagnen, die Sprache und das Bewusstsein. Mein zweiter Ratschlag geht nicht nur an Unternehmen, sondern für alle Menschen: Speak Up. Du gehst auf eine Konferenz und siehst nur Weiße Personen auf der Bühne? Frag nach, woran das liegt. Es wird ein neues Produkt entworfen oder eine neue Kampagne geplant, die Diversität nicht berücksichtigt oder sogar auf rassistische Muster zurückgreift? Sag etwas. Und wenn du dich nicht traust, unterstütze diejenigen, die sich trauen etwas zu sagen. Wir unterschätzen manchmal die Macht, die eine Frage haben kann. Die Macht, die eine fragende Person hat. Nutze sie und hinterfrage die gegebenen Strukturen.
„Wir unterschätzen manchmal die Macht, die eine Frage haben kann. Die Macht, die eine fragende Person hat. Nutze sie und hinterfrage die gegebenen Strukturen, um die Welt zu einem gerechteren Ort für alle zu machen.“
Eure Initiative besteht erst seit Juni 2020 – könnt ihr schon von ersten Erfolgen berichten?
Ja, wir sind sehr stolz darauf, dass mittlerweile schon 60 Firmen aus der Reiseindustrie sich an der „Pull up for Travel” Aktion beteiligt haben. Sie haben sich damit nicht nur verpflichtet, den Status Quo zu melden, sondern auch an einer Verbesserung ihrer Diversitätsstruktur zu arbeiten. Die Ergebnisse können wir hier in den nächsten Jahren evaluieren. Aber natürlich muss hier noch mehr global erreicht werden. Denn alleine Schwarze Amerikaner geben circa 63 Milliarden pro Jahr fürs Reisen aus. Wenn genau diese nun unterrepräsentiert sind – dann schafft das ein falsches Bild der Reiseindustrie, die ja eigentlich genau mit ihrer Offenheit und Inklusivität wirbt.
Wie funktioniert Black-Allyship und wie können privilegierte Personen ihre Macht für etwas Gutes nutzen?
Eigentlich geht das Hand in Hand mit meinen früheren Empfehlungen: Sag’ etwas, wenn die Ungerechtigkeiten auffallen – sei es in deinem Unternehmen, bei einer Konferenz, bei der Gestaltung eines neuen Produktes oder auch im Gespräch mit Freunden oder der Familie. Nutze deine Stimme, um eine Änderung zu bewirken. Es gibt zudem viele gute Ressourcen, wie du dein Verhalten reflektieren kannst. Auf meinem Blog findest du die 21-Tage-Challenge. Wenn du etwas Rassistisches gesagt oder gedacht hast, dann empfehle ich dir, dies aufzuschreiben und darüber zu reflektieren, warum das passiert ist. Wie ist dieses Verhalten entstanden und wie kannst du dieses Verhalten das nächste Mal ändern und auch andere davon abhalten, das nicht zu wiederholen?
Was möchtest du uns noch mit auf den Weg geben, Martina?
Du hast die Macht, die Veränderung in der Welt zu bewirken, die du sehen möchtest. Nutze diese Macht und setze deine Privilegien dafür ein, die Welt positiv zu verändern. Reflektiere die vielleicht unbewussten Vorurteile und Stereotypen von dir und verbessere dein Verhalten. Wir alle können lernen, Fragen stellen und haben die Möglichkeit, unser Verhalten zu reflektieren.
Weitere Leseempfehlungen:
- Deutschland Schwarz-Weiß von Noah Sow
- 21-Tage-Challenge gegen implizite Rassismen
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